Das Tabu zum Beruf gemacht - Schugufa Issar Amerchel ist die erste afghanische Fitness-Trainerin in München
18.01.2018 09:36 h | sports by SIA
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Das Tabu zum Beruf gemacht - Schugufa Issar Amerchel ist die erste afghanische Fitness-Trainerin in München


Die dunkelbraunen Haare sind straff nach hinten zu einem Zopf gebunden, die Beine stecken in einer eng anliegenden Sportleggins, die Füße in Nike-Turnschuhen. Die dünne Funktions-Jacke lässt nicht nur definierte Oberarme erahnen. Sondern ein dezentes Logo links unterhalb des Schlüsselbeins mit der Aufschrift „sports by SIA“ verrät zugleich, wen man vor sich hat: Schugufa Issar Amerchel - kurz Sia. Auf den ersten Blick eine Fitness-Trainerin, wie es viele in Deutschland gibt. Auf den zweiten Blick erst wird klar, dass dies alles andere als normal ist. Denn für Sia ist der Beruf, den sie ausübt, eigentlich tabu. Sie kommt ursprünglich aus Afghanistan. Dort ist es den Mädchen fast überall verboten, Sport zu machen. Und dort, wo es nicht verboten ist, ist es zumindest verpönt. Jetzt verdient Sia genau damit ihr Geld. Vor kurzem hat sich die 29-Jährige in München als Fitness-Trainerin und Ernährungsberaterin selbstständig gemacht und verbindet westliche Trainingsmethoden mit afghanischer Tradition.

Um ihren Kunden zu einem gesunden und trainierten Körper zu verhelfen, setzt Sia auf Trendsportarten wie Pilates, Wirbelsäulengymnastik, TRX (Schlingentraining) und TRX-Yoga. In ihrem speziellen, selbst entwickelten „SIA-Training“ kombiniert sie einzelne Elemente dieser Sportarten, kreiert daraus neue Übungen und spickt alles mit einer Portion Afghanistan. So entspannen ihre Teilnehmer beispielsweise bei Stretch-Übungen zu traditioneller Instrumentalmusik aus ihrer alten Heimat.

Bis Schugufa Issar Amerchel zehn Jahre alt war, lebte sie in Kabul. „Sport war für Frauen und Mädchen in Afghanistan ein absolutes Tabu-Thema und ist es bis heute in vielen Teilen des Landes geblieben. Gymnastik und Fitness gibt es so gut wie überhaupt nicht, sondern meist nur Bodybuilding. Und das natürlich auch nur für Männer“, so Schugufa Issar Amerchel. „Schon als Kind in Kabul hatte ich mich sehr für Sport interessiert. Ich konnte nicht verstehen, warum wir Mädchen und Frauen keinen Sport machen dürfen. Für mich gab es dafür keine logische Erklärung.“

1999 floh Sia zusammen mit ihrer Familie vom Bürgerkrieg in Afghanistan nach Deutschland. Zuerst kamen die Issar Amerchels nach Baden-Württemberg, bevor sie 2007 nach München zogen. In Deutschland lernte Sia nicht nur eine neue Sprache und Kultur, sondern auch ihre neue Leidenschaft kennen - den Sport. Zehn Jahre nach Ihrem Umzug in die Landeshauptstadt hat sie sich in München als erste afghanische Fitness-Trainerin selbständig gemacht.

Als Trainerin hat Sia vor allem das Thema „gesunder Rücken“ im Fokus. Neben der klassischen Wirbelsäulengymnastik setzt sie auch auf Pilates, TRX und TRX-Yoga - alles Trainingsmethoden mit dem eigenen Körpergewicht. Schwere Hanteln und Co. haben in ihren Workouts nichts zu suchen. „Die schaden dem Körper, vor allem den Gelenken und dem Rücken oft mehr, als dass sie etwas nützen“, erklärt Sia. Sportarten wie Pilates und Yoga hingegen können Rückenschmerzen vorbeugen und sogar lindern. Dieser Meinung ist nicht nur Sia, sondern auch ein US-amerikanisches Forscherteam. Dieses kam zu dem Schluss, Yoga helfe genau so gut gegen Rückenschmerzen wie Physiotherapie. Ihre Ergebnisse haben die Forscher im Juni 2017 in der Fachzeitschrift „Annals of Internal Medicine“ veröffentlicht.

Damit die Teilnehmer gesundheitlich auf ganzer Linie vom Sia-Training profitieren, setzt die 29-Jährige auf eine individuelle Betreuung. Die Kursgröße liegt bei maximal zwölf Teilnehmern. „Nur so habe ich den Überblick und kann jeden einzelnen bei den Übungen korrigieren“, betont Schugufa Issar Amerchel. In ihren Trainings vermittelt sie nicht nur die Übungen, sondern auch das Hintergrundwissen dazu. Sie erklärt genau, was bei welchen Übungen zu beachten ist und was dabei im Körper passiert.

Noch individueller wird’s beim Personal-Training. Damit dieses Training perfekt auf den jeweiligen Kunden zugeschnitten werden kann, erfolgt in einem ersten Schritt eine Art „Anamnesegespräch“. Mithilfe eines Fragebogens und eines Fitnesstests wird der körperliche Ausgangszustand ermittelt. Darauf aufbauend erstellt Sia einen individuellen Trainings- sowie Ernährungsplan. Wichtiger Bestandteil ihrer Ernährungslehre ist der jahrhundertealte Erfahrungsschatz afghanischer Gewürz- und Kräutermischungen. Diese werden von ihrer Schwester Ghezal Issar Amerchel, auch Narges genannt, nach dem traditionellen Rezept ihrer Großeltern zubereitet. Und zwar in deren bereits vielfach ausgezeichnetem afghanischen Restaurant Bamyan Narges, mit dem Narges sowohl im kultigen Glockenbachviertel als auch am Gärtnerplatz in München vertreten ist.

Mittlerweile vertrauen auch Unternehmen auf das Sia-Sportprogramm. Im Sinne der betrieblichen Prävention organisieren sie Kurse für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So zum Beispiel auch die Lokalbaukommission der Landeshauptstadt München, die als Arbeitgeber ein Teil der Kurskosten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt. Münchens Spitzenhotels, wie das Vier-Jahreszeiten, hingegen verwöhnen ihre Gäste mit einem Personal-Training bei Sia. Sogar von bis aus der Schweiz kommen Kunden nach München, die vom Personal-Training der jungen Afghanin begeistert sind.

Sias einzigartiges Programm kommt an und die Nachfrage steigt. Deshalb hat sie für die nahe Zukunft große Pläne: „Ein eigenes orientalisches Studio. Mit afghanischen Matten, auf denen ich mit meinen Teilnehmern Pilates machen kann. Orientalische Lampen mit schummrigem Licht sorgen für eine gemütliche Atmosphäre. Nach dem Training können die Teilnehmer dann bei traditionell afghanischem Chai entspannen und das Training ausklingen lassen - den Sport also ganz bewusst zelebrieren“, erklärt Sia das Konzept ihres orientalischen Fitness-Studios. „So etwas gibt es in München bislang noch nicht.“ Das klingt nach einem Gegenentwurf zu den üblichen Muckibuden mit grellen Neonröhren und Sportgeräten, auf denen sich die Menschen nach Feierabend abstrampeln.

Schugufa Issar Amerchel möchte aber nicht nur ein Stück Afghanistan nach München holen, sondern auch ein Stück Westen nach Afghanistan bringen. „Mein großes Ziel für die Zukunft ist es, ein ehrenamtliches Fitness-Studio speziell für Frauen in Afghanistan zu errichten und in einem weiteren Schritt eines speziell für Männer. Da in Afghanistan Frauen und Männer in der Öffentlichkeit noch immer strikt getrennt werden. Dann bringe ich nicht nur München, sondern auch Kabul in Form“, so Sia.

Schugufa Issar Amerchel
1988 in Kabul, Afghanistan geboren
1999 mit ihrer Familie aus dem Afghanischen Bürgerkrieg nach Deutschland, Baden-Württemberg, geflohen
2004 Schulabschluss Mittlere Reife (Abschlussnote 1,4)
2004 - 2007 kaufmännische Ausbildung
2007 Umzug nach München
seit 2012 Erfahrung als Ernährungsberaterin und und Tagesleiterin im Restaurant Bamyan Narges
Seit 2017 selbständig als Fitness-Trainerin (Personal Trainerin und Fitness-Gruppenkurse)

Trainingsschwerpunkte:
- Pilates
- Wirbelsäulengymnastik
- TRX und TRX-Yoga

Qualifikationen:
- Pilates Trainer (Pilates Academy/Akademie für Sport und Gesundheit)
- Personal Trainer (Akademie für Sport und Gesundheit)
- TRX-Trainer (Transatlantic Fitness)
- TRX-Yoga-Trainer (Transatlantik Fitness)
- Trainer für Wirbelsäulengymnastik (Akademie für Sport und Gesundheit)
- Ernährungsberaterin (Akademie für Sport und Gesundheit)

 



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